Verein: Anti-Aggressionstraining

Der Türkische SV Konstanz, zuletzt in den Schlagzeilen durch den Spielabbruch im Deggenhausertal, bietet seinen Spielern Anfang 2015 ein Anti-Aggressionstraining an. Der SÜDKURIER sprach mit dem Vereinsvorsitzenden Abdullah Karaboga.

Herr Karaboga, im Januar müssen sich Ihre Spieler einer völlig ungewohnten Herausforderung stellen: Geschult werden sollen sie dabei nicht im Umgang mit dem Ball, sondern mit dem Gegner. Wie kamen Sie auf die Idee, professionelle Hilfe zu holen?

"Über einen Bekannten, der in diesem Bereich engagiert ist und mir den Tipp mit dem Hamburger Verein „Zweikampfverhalten“ gegeben hat. Das ist ein gemeinnütziger Verein, der sich seit 2008 für Respekt, Toleranz und ein faires Miteinander im Sport und Alltag einsetzt und vom DFB prämiert wurde. An einem Wochenende im Januar kommen Vereinsmitarbeiter zu uns und schulen die Spieler."

 

Wenige Wochen nach dem Spielabbruch im Deggenhausertal, für den das Sportgericht des Bezirks den Türkischen SV Konstanz verantwortlich gemacht hat, organisieren Sie ein Verhaltenstraining für Ihre Mannschaft. Das klingt nach Schuldeingeständnis.

"Nein, in keinster Weise. Wir haben gegen das Urteil des Sportgerichts Berufung eingelegt, weil wir eine andere Auffassung vertreten, was den Spielabbruch angeht. Meine Motivation ist eine ganz andere. Ich will, dass meine Spieler zukünftig souveräner auf dem Platz sind und gelassener reagieren, wenn sie provoziert werden. Und einige unserer Spieler, gerade die jüngeren, lassen sich schon sehr schnell provozieren."

 

Ein Deggenhausertaler Spieler musste ins Krankenhaus, nachdem er von einem Ihrer Spieler brutal gefoult geworden war. Rechtfertigen Sie diese Tätlichkeit mit einer vorangegangenen Provokation?

"Nein. In der Berufung gegen das Bezirks-Urteil habe ich klargestellt, dass die Bestrafung für Francesco Bongiovanni dann in Ordnung geht, wenn sie sauber aufgearbeitet wurde. Damit meine ich, dass auch hinsichtlich eventuell vorausgegangener Provokationen ermittelt werden muss, zumal der Schiedsrichter die Situation nicht einsehen konnte. Und wenn solche Provokationen vorliegen, dann hat das nichts mit der normalen Rivalität im Fußball zu tun, das geht oft unter die Gürtellinie."

 

Ein Beispiel?

"Unser farbiger Spieler wurde schon als „Affe“ beschimpft, andere Spieler als „Scheiß-Türken“."

 

Ist die Bezirksliga ausländerfeindlich?

"Man kann es nicht verallgemeinern. Es gibt aber ein paar Vereine, bei denen die Grenze der Emotionen von außerhalb und auch auf dem Platz eindeutig überschritten wird. Auch unsere deutschen Spieler sind manchmal entsetzt, was da zum Teil abgeht."

 

Auf der anderen Seite wird berichtet, dass Spieler des Türkischen SV Konstanz gegnerische Zuschauer schon als „Nazis“ beschimpft haben.

"Mit Sicherheit sind – gerade beim Spiel im Deggenhausertal – auch von unserer Seite unschöne Worte gefallen. Aber solche Sprüche? Nein, das würde ich nicht zulassen. Ich gehe vor jedem, wirklich jedem Spiel in die Kabine und appelliere an die Spieler, ruhig zu bleiben, Rote Karten zu vermeiden, damit wir unseren ramponierten Ruf wieder herstellen können. Das liegt mir sehr am Herzen. Ich habe als Vorsitzender auch schon mehrere gute Spieler, die uns sportlich weiterhelfen könnten, abgelehnt, weil ich Bedenken hatte in dieser Hinsicht."

 

Auf der anderen Seite ist Muhammet Güleryüz, der im Januar 2013 wegen Bedrohung des Schiedsrichters für den Abbruch des Dreikönig-Hallenturniers bei der DJK Konstanz verantwortlich war, immer noch in Ihrem Team. Wie passt das zusammen?

"Der Spieler ist nach dem Vorfall auf uns zugegangen und hat eingestanden, einen großen Fehler gemacht zu haben. Er hat um eine letzte Chance gebeten, und die habe ich ihm gegeben. Bei uns im Verein hat er sich seitdem bewährt, ehrenamtlich und auch sportlich: Beim 2:1 gegen Tabellenführer Walbertsweiler-Rengetsweiler vor kurzem hat er das Siegtor geschossen."

 

Und was ist mit Francesco Bongiovanni, der für den Spielabbruch im Deggenhausertal verantwortlich ist?

"Da muss ich Ihnen widersprechen. Er hat eben nicht den Spielabbruch verschuldet. Den Spielabbruch hat unser Spielgegner verschuldet, in dem Personen ohne Weisung des Schiedsrichters das Spielfeld betreten und das Chaos verursacht haben, mit dem Höhepunkt – das wird immer wieder vergessen –, dass Zuschauer unseres Spielgegners den Schiedsrichter körperlich attackiert haben. Daran kann man gut feststellen, welche Atmosphäre herrschte. Wie bereits gesagt, er soll seine Strafe unter Berücksichtigung aller Umstände erhalten, aber zwischen seinem Vergehen und dem Spielabbruch muss man eben trennen."

 

Derselbe Spieler war in der letzten Winterpause schon gesperrt.

"Ja, aber das war meines Wissens nach wegen einer Roten Karte nach einem Foul. Das ist nicht miteinander zu vergleichen. Fußballtypische Vergehen können passieren, alle anderen nicht. Fakt ist, dass er ein guter Spieler ist. Fakt ist, dass er nun bei unserer Maßnahme im Januar 2015 erstmals zeigen kann, wie lernwillig er ist. Dann kann er in seiner Sperre zeigen, wie wichtig ihm der Türkische SV Konstanz ist. Am Ende der Sperre werden wir dann vereinsintern klären, ob er eine letzte Chance erhält oder nicht. Fakt ist nämlich auch: Gerne halten wir gute und sehr gute Spieler, aber nur dann, wenn sie sich auch entsprechend verhalten. Die Qualität eines Fußballspielers in unserer Klasse kann gar nicht so hoch sein, dass wir schwerwiegendes Fehlverhalten ohne weiteres akzeptieren. Das muss jedem Spieler, der unser Vereinswappen trägt, klar sein."

 

Zurück zum Verhaltenstraining: Was erhoffen Sie sich davon?

"Wir wollen als Verein ein Zeichen setzen und zeigen, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben. Und wir wollen unseren Spielern aufzeigen, und zwar mit professioneller Hilfe, dass man im alltäglichen Leben immer Provokationen ausgesetzt ist, zum Beispiel im Straßenverkehr oder beim Ausgehen, und dass man eben nicht immer auf jede Provokation eingehen muss. Diesen Mehrwert sollen unsere Spieler lernen und dann im Leben und auf dem Sportplatz in die Tat umsetzen. Damit werden wir hoffentlich eine bessere Konzentration auf das Wesentliche erhalten. Und wir öffnen unsere Türen, denn diese Maßnahme ist nicht nur bestens für unsere Spieler und Funktionäre geeignet, sondern auch für andere Mannschaften und Vereine. Bei Interesse können die sich gerne an uns wenden."

 

Wie teuer ist das Verhaltenstraining?

"Aufgrund unserer persönlichen Kontakte halten sich die Kosten für das Training im Rahmen. Der Verein sitzt in Hamburg und fährt für uns einmal quer durch die ganze Republik. Uns war es aber wichtig, dass wir hier ein Ausrufezeichen setzen und ein vom DFB prämiertes Projekt zu uns holen, damit klar wird, dass wir es auch wirklich ernst meinen. Neben der Anreise tragen wir auch die Übernachtung und die Verköstigung der Referenten. Letzteres haben wir aber über Sponsoren abgedeckt bekommen."

 

Wie haben Ihre Spieler reagiert, als Sie sie über das Verhaltenstraining informiert haben?

"Die Reaktion war gut. Für die Spieler ist das eine Herausforderung. Sie sind neugierig, freuen sich, dass was passiert und ziehen voll mit."